Beten im Bürgerhaus
Als Muslime aus dem Osdorfer Born darum baten, in einem Raum des Bürgerhauses Bornheide das Freitagsgebet abhalten zu dürfen, zögerte Diakoniepastorin Maren von der Heyde nicht lange. „Mit ist der Gedanke unmöglich, Menschen das Gebet zu verwehren“, erklärt die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Hamburg-West/Südholstein. Sie stellte zwei Bedingungen. Es muss auf Deutsch gepredigt werden und der Gebetsraum muss offen bleiben – auch für Frauen. Das war für die Organisatoren des Gebets keine Frage.
Gebetsteppiche werden ausgerollt, freiwillige Helfer trennen einen kleinen Teil des Saals mit einer Stuhlreihe ab. Es ist Freitag, kurz vor eins. Noch saugt ein Mann Staub, da beten bereits die ersten Gläubigen, knien nieder, richten sich wieder auf. Andere begrüßen sich noch, tauschen Neuigkeiten aus. Die Atmosphäre ist ungezwungen.
Kadir Katran organisiert das Freitagsgebet im Bürgerhaus Bornheide im Osdorfer Born seit drei Jahren. Der 34-jährige Sohn türkischer Gastarbeiter ist in der Hochhaussiedlung im Hamburger Westen geboren und aufgewachsen. Viele seiner Mitschüler seien gescheitert, ohne Schulabschluss. Er wurde Rechtsanwalt.
Erst in der Folge des 11. Septembers 2001 sei er zum aktiven Muslim geworden. Denn plötzlich hätte er sich für seine Religion rechtfertigen müssen. Die Verachtung des Islam durch die Mehrheitsgesellschaft und sein Missbrauch durch Terroristen verunsichere viele Muslime und radikalisiere einige. „Wir wollen vor allem den jungen Gläubigen religiösen Halt geben.“
Der Islam ist eine Weltreligion. Und Hamburg ist längst eine „global city“, in der Menschen aus aller Welt leben. Das zeigt sich hier im Kleinen. Die Gemeinde ist auffallend jung. Rund 120 Männer beten hier, abgetrennt durch die Stuhlreihe knien hinten fünf Frauen.
Ein Vorbeter erhebt die Stimme „Allahu Akbar“ – Gott ist groß. Gebetet wird auf Arabisch, gepredigt auf Deutsch. Ein junger Imam spricht die Versammelten als „Geschwister“ an, bezieht so die Frauen ausdrücklich mit ein. Aber warum kommen so wenige? Das habe weniger religiöse als kulturelle Gründe, erklärt der Organisator. In türkischen Moscheen beteten traditionell weniger Frauen, in arabischen mehr. In Osdorf liege der Frauenanteil im Schnitt bei 20 Prozent. Eine Werbung um mehr Frauen mache man nicht.
Der Prediger spricht über die Notwendigkeit, „Schlechtes mit Gutem zu vergelten“. Er wählt krasse Beispiele. Ein Moscheeverein bezahlt die Strafe für den Rassisten, der das Gebetshaus beschmiert hatte und die Summe nicht aufbringen kann. Ein Vater vergibt dem Mörder seines Sohnes noch im Gerichtssaal.
Normal wäre es, erklärt der Prediger, den Mörder des Sohnes zu ermorden. Das wolle Allah nicht. Die deutsche Rechtsordnung will Blutrache ebenso wenig. Gerade hat ein Angehöriger eines Opfers im NSU-Prozess Höchststrafen für die Mörder seines Vaters gefordert. Er war keineswegs versöhnt, aber er sprach nicht von Rache. Das ist rechtsstaatliche Normalität.
Jetzt ist der Rechtsanwalt in seinem Element und erläutert, warum sich die Predigt nicht auf das deutsche Recht, sondern auf die Blutrache bezog. Der Imam sei angehalten, alle Gläubigen anzusprechen, auch die Ungebildeten und traditionell Denkenden. Im Übrigen sei, so weit er es sehe, der Prozess der Integration in den letzten 15 Jahren fortgeschritten.
Doch das Misstrauen der Mehrheitsgesellschaft bleibt. So gebe es in Osdorf geeignete leere Gebäude für einen Gebetsraum. Aber niemand wolle an Muslime vermieten. Passt ein islamisches Freitagsgebet in ein Bürgerhaus? Warum nicht, lacht Kadir Katran, der Bibelkreis passe ja auch.
Nicht einmal eine halbe Stunde dauert der Gottesdienst. Die Gläubigen ziehen ihre Schuhe an und wenden sich wieder den Aufgaben des Alltags zu. Ruck zuck räumen die Helfer auf. Der Gebetsraum war die ganze Zeit frei zugänglich: „Wir ziehen die Vorgänge auf, lassen die Tür offen. Wir setzen auf Transparenz“, erklärt Kadir Katran. Eine Einladung, genau hinzusehen.
Die Öffnung des Bürgerhauses sei eine Chance, sagt dazu Maren von der Heyde: „Wir kommen ins Gespräch und können so die moderaten Kräfte unterstützen.“ Es sei ein schöner Gedanke, in der Gesellschaft über das Gebet Verbindungen herzustellen. „Wenn wir Räume zur Besinnung nutzen, entdecken wir viele Gemeinsamkeiten mit Menschen anderen Glaubens.“
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