Sprachfähig werden
(sm) Rund 1.400 Menschen flüchteten im vergangenen Jahr nach Norderstedt. Die Erstversorgung sei weitgehend abgeschlossen, erklärte Norderstedts Sozialdezernentin Annette Reinders vor fast 200 Fachleuten, Ehrenamtlichen und Politikerinnen am 29. September im Norderstedter Rathaus. Jetzt gehe es darum, Perspektiven zu entwickeln.
Viele Ankömmlinge hätten Schlimmes hinter sich, zwischen 25 und 50 Prozent seien traumatisiert, berichtete die Traumapädagogin Anais Herrmann. Erfahrungen von Gewalt könnten die Psyche so nachhaltig verletzen, dass es zu Störungen der Wahrnehmung der Realität und des Verhaltens komme: „Traumatisierte Menschen laufen häufig mit `eingekapselten´ Aggressionen durchs Leben. Die erneute Erfahrung von Hilflosigkeit kann Verhaltensweisen auslösen, die Rätsel aufgeben. Oft schlagen sie aus scheinbar nichtigem Grund um sich, verbal oder handgreiflich. Andere ziehen sich zurück und verstummen.“
Die aufnehmende Gesellschaft stehe vor der Herausforderung, traumatisierte Menschen zu unterstützen und ihnen trotz ihrer psychischen Belastungen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Die in der sozialen Arbeit Tätigen müssten den richtigen Umgang mit „schwierigen“ Menschen lernen. Zu wissen, dass Traumatisierung die Ursache von Konflikten sein könne, brächte Entlastung und eröffne Möglichkeiten der Kommunikation. „Mir geht es um Sprachfähigkeit“, fasste Anais Herrmann ihr Anliegen zusammen.
Beate Pfeiffer, Leiterin der ev. Familienberatungsstelle Norderstedt, hatte die Veranstaltung gemeinsam mit Offiziellen der Stadt organisiert – auch mit der Absicht, Ideen für den Umgang mit Traumatisierten zu sammeln: „Unsere Erwartungen wurden übertroffen.“ In der angeregten Diskussion machten die Teilnehmerinnen unter anderem Vorschläge zur fachlichen Begleitung Ehrenamtlicher und zur Schaffung sicherer Räume für Flüchtlinge. Im Regionalen Arbeitskreis der Stadt Norderstedt, dem soziale Einrichtungen und Behördenvertreter angehören, sollen die Ideen konkretisiert werden.
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