Die Revolution der kleinen Schritte
(sm) Erfreulicherweise lockte der Diskussionsabend der Kampagne „Diakonie. Gut beraten“ in der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) am 29. 11. 2016 auch Studierende an. Sie erlebten eine aufgeregte, manchmal sprunghafte Veranstaltung.
Zu Beginn erklärte Gabriele Winker, Feministin und Professorin an der TU Hamburg, ihr Konzept der „Care Revolution“. Sie will auch die unbezahlte Care (Sorge/Sozial)-Arbeit – Kindererziehung, Pflege von Angehörigen – in die ökonomische Bilanz aufnehmen. Immerhin macht sie fast zwei Drittel der gesellschaftlichen Arbeit aus. Die neoliberale Politik sehe das Ideal in der Vollerwerbsarbeit aller Arbeitsfähigen. In der Realität führe die Kapitalverwertungskrise mit Bankenrettung und Schuldenbremse zu mehr und intensiverer Arbeit für immer weniger Beschäftigte, während die Zahl der Ausgegrenzten steige. Das mache krank, Burn-Out sei längst eine Volkskrankheit. Eine klare Botschaft: Den Menschen gehe es schlecht, wenn die Wirtschaft boomt.
Care Revolution – wie wird was draus?
Die Arbeitswissenschaftlerin zeigte am Beispiel des Erziehungsgeldes, wie neoliberale Konzepte die Richtung vorgeben. Familienpolitik werde den Wirtschaftsinteressen angepasst: nur wer produktiv ist, wird unterstützt. Dieser wichtige Gedanke ging dann verloren. Dabei hieße er – zu Ende gedacht – der Staat könnte in Zukunft aufhören, „unnütze“ Mitglieder der Gesellschaft zu alimentieren.
Es war schön zu sehen, wie Gabriele Winker sich aufregte, wenn sie den Eindruck hatte, nicht verstanden zu werden. Die Referentin kämpfte für ihre Sache. Mit ihrem badischen Akzent wirkt sie volkstümlich und unkompliziert. Aber sie konnte im Laufe des Abends nicht vermitteln, wie aus einer Vernetzung sozialer Projekte die „Care Revolution“ werden sollte, eine Abkehr vom kapitalistischen Gewinnstreben hin zu einer Orientierung an menschlichen Werten.
Reicht es aus, massenhaft auf die Straße zu gehen, wie Gabriele Winker meint? Die Geschichte der sozialen Bewegungen – die Care Revolution will erst eine werden – zeigt: Veränderungen werden nicht auf der Straße erreicht, sondern da, wo die Gesellschaft Wertschöpfung betreibt.
Ob das bedingungslose Grundeinkommen ein Heilmittel wäre, wie die Professorin meint, blieb ebenfalls offen. Moderator Burghard Plemper wollte die Debatte erden, indem er alltagstaugliche Lösungen erfragte – „ich will nicht das Kissen nass heulen, weil die Welt so schlecht ist“.
Pragmatismus statt Revolution
Vielleicht zu schnell. Die Gelegenheit war günstig, sich – auf die Gefahr, dass es zum Heulen ist – an die großen Fragen zu wagen, um den Sinn kleiner Schritte einschätzen zu können.
So hatten die Praktiker das Wort. Andrea Makies, kaufm. Geschäftsführerin der Diakonie Hamburg-West/Südholstein wünschte sich mehr Zusammenhalt der Wohlfahrtsverbände, statt sich im Preiskampf zu unterbieten. Arnold Rekittke (ver.di) und Jens Stappenbeck (AG der freien Wohlfahrtspflege) warben für vermeintlich kleine Schritte, z. B. verbesserte Tarife. Nicht das schlechteste Ende für diesen Abend.
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.